Steuerbelastung als internationaler Standortfaktor

Steuerbelastung als internationaler Standortfaktor
von Professor Dr. Klaus Henselmann
I. Stellenwert der Besteuerung
Die internationale Steuerbelastung stellt einen wichtigen Standortfaktor dar, wobei ihr Stellenwert variiert (gering bei Vertriebsniederlassungen, stark bei Verwaltungsstellen, Holdinggesellschaften und Finanzierungszentren). Die Steuer wird umso bedeutsamer, je weniger die Tätigkeit an einen lokalen Markt gebunden ist und je leichter sich Aktivitäten ohne größeren Aufwand international verlagern lassen.
Für die Standortwahl setzen Unternehmen oft extrem vereinfachte Steuerbelastungsvergleiche ein: Mehr als 50 Prozent geben an, dass sie sich lediglich von den Steuersätzen leiten lassen. Nur 38 Prozent achten darüber hinaus auf die Bemessungsgrundlage, wobei i.d.R. wiederum lediglich Abschreibungsregeln im Vordergrund stehen. Dies kann zu gravierenden Fehlentscheidungen führen.
II. Grundfragen der Steuerbelastungsmessung
Ein Steuerbelastungsvergleich zur Standortwahl sollte die ausländische und inländische Unternehmensbesteuerung einschließlich gewährter Entlastungsmaßnahmen enthalten. Hierbei kann man zwischen der „Inbound-Perspektive“ (ein Ausländer erwägt die Standortwahl im Inland) und der (umgekehrten) „Outbound-Perspektive“ unterscheiden. Die isolierte Betrachtung rein nationaler Sachverhalte ist wenig sinnvoll.
Umfassende Analysen zu Steuerpflicht, Bemessungsgrundlage und Tarif bei allen relevanten Steuerarten sind vorteilhaft gegenüber Untersuchungen, die sich auf ausgewählte Teilaspekte (z.B. Steuertarife) beschränken. Belastungsvergleiche umfassen häufig nur die laufende Besteuerung, obwohl Akquisitionen, Rechtsformwechsel und andere aperiodische Sonderanlässe von hoher Relevanz sein können. In jüngster Zeit gewinnt auch die erbschaftsteuerliche Belastung an Bedeutung.
Dabei gibt es keine allgemeingültige Steuerbelastung. Sie wird vielmehr von einer Fülle von Bedingungen (z.B. Rechtsform, Ertragslage, Finanzierung, Ausschüttungsverhalten, Branche, ausgeübte Tätigkeit, Unternehmensgröße) beeinflusst und ist insofern situationsabhängig. Gesucht wird möglichst die Belastung der konkret geplanten Maßnahmen, nicht die Steuerbelastung bestimmter Gruppen von Unternehmen (z.B. ertragreiche thesaurierende Kapitalgesellschaften) oder bestimmter Typen von Investitionen oder gar der Gesamtheit aller Unternehmen (einschließlich Handwerk, Freiberufler). Die frühere Besteuerung kann nur Indikator für die künftige Steuerbelastung sein.
Entscheidungsrelevant ist die zusätzliche Steuer, welche mit der Standortwahl ausgelöst wird (Grenzsteuerbelastung), nicht die Durchschnittssteuerbelastung. Häufig bezieht man die Steuerzahlung auf den Gewinn als Bezugsgröße. Jedoch beruht dieser auf willkürlichen Bilanzierungskonventionen. Ökonomische Bezugsgrößen der Steuerbelastung wie die interne Rendite oder der Kapitalwert vermeiden dieses Problem.
III. Methoden
Tarifvergleiche bilden die einfachste Form von Steuerbelastungsvergleichen. In der Regel existieren mehrere Ertragsteuerarten und Ergänzungsabgaben nebeneinander (z.B. GewSt, KSt, ESt, Solz, KiSt), für die eine kombinierte Ertragsbelastung berechnet werden muss.
Zudem ist zu beachten, dass nicht alle Steuerarten auf dieselbe Bemessungsgrundlage zurückgreifen. Die relative Bedeutung einer Substanzbesteuerung hängt von der Ertragssituation ab. Tarifvergleiche liefern (scheinbar) anschauliche Werte und sind leicht zu erstellen. Sie vernachlässigen jedoch den zeitlichen Gewinnanfall (z.B. Abschreibung), Verlustbehandlung, Investitionsfördermaßnahmen, aperiodische Sonderanlässe usw. und können daher im Einzelfall zu groben Fehlbeurteilungen führen.
Rechtsnormenvergleiche nehmen eine qualitative Analyse der steuerlichen Standortbedingungen vor. Vollständige Rechtsnormenvergleiche umfassen sowohl die lokale ausländische Besteuerung (z.B. Tarife bei Thesaurierung und Ausschüttung, Substanzsteuern, Quellenbesteuerung, Organschaft, Behandlung von Veräußerungsgewinnen, Abschreibungsregeln, Rückstellungen, Verlustbehandlung, Subventionen) als auch die steuerliche Erfassung grenzüberschreitender Aktivitäten im anderen Land einschließlich der gewährten Entlastungsmaßnahmen (Anrechnung, Freistellung, Verrechnungspreise, Missbrauchsvorschriften, Verständigungsverfahren). Allerdings wird wegen der qualitativen Darstellung weder eine absolute noch eine prozentuale Steuerbelastung errechnet. Nur in Ausnahmefällen kann daher aufgrund besonderer Vorteile (z.B. Steueroasen) oder Nachteile schon ein abschließendes Urteil über die steuerlichen Standortbedingungen gefällt werden.
Empirische Steuerbelastungsvergleiche beruhen auf Daten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung oder auf Jahresabschlüssen. Damit erfasst man Steuerzahlungen, die sich unter Berücksichtigung des vollständigen, komplexen Steuersystems tatsächlich ergeben haben. Allerdings erhält man lediglich die Durchschnittsbelastung für eine Vielzahl unternehmerischer Aktivitäten in der Vergangenheit, aber keinen Indikator für die Steuerbelastung einer bestimmten einzelwirtschaftlichen Investitionsmaßnahme in der Zukunft. Grenzüberschreitende Steuerfragen bleiben unberücksichtigt. Die Steuern werden zudem auf eine buchhalterische Bezugsgröße wie den Jahresüberschuss bezogen.
Effektive Grenzsteuersätze vergleichen die Bruttorendite von Investitionen mit der Nettorendite des Investors nach Steuern. Das Verhältnis beider interner Renditen bestimmt die effektive Steuerbelastung. Damit wird die Steuerwirkung auf eine ökonomische Bezugsgröße bezogen. Allerdings kann das Steuersystem nur in seinen groben Strukturen und nicht mit seinen oft bedeutsamen Sondervorschriften abgebildet werden.
Eine Veranlagungssimulation beruht auf der individuellen Planung der beabsichtigten Investitionsaktivitäten. Für jedes Jahr bis zum Planungshorizont wird eine Unternehmensplanung einschließlich Bilanz und Erfolgsrechnung des Unternehmens abgeleitet. Unter Anwendung der Regeln des in- und ausländischen Steuersystems schließt sich die Simulation der Steuerveranlagungen in beiden Ländern an. Dabei wirkt die Steuer als Auszahlung in die Unternehmensplanung zurück. Die Höhe der Steuerbelastung wird daher nicht gesondert ermittelt, sondern sie nimmt indirekt Einfluss auf die unternehmerische Zielgröße, z.B. den erreichten Kapitalwert. Dem Vorteil der umfassenden und genauen Vorgehensweise steht ein hoher Aufwand für die individuelle Planung gegenüber.

Lexikon der Economics. 2013.

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